Blickbewegungsmessung als Indikator für Zeitempfinden bei der Steuerung einer prozesstechnischen Simulation - Eine explorative Studie
Autoren: Dirk Schulze-Kissing, Rita Oldenbourg & Leon Urbas
Wie im Alltag, so auch bei der Steuerung komplexer technischer Systemen können zeitliche Eigenschaften von Symptomen Störungen signalisieren. Operateure sind fähig, diese zeitlichen Eigenschaften zu deuten. Sind Operateure jedoch während der Interaktion mit einem komplexen System fortwährend erhöhten kognitiven Anforderungen ausgesetzt (sog. gefüllte Dauern), so überschätzen sie für gewöhnlich die Dauer dieser Interaktion. Andererseits unterschätzen sie Intervalle, die mit reiner Wartezeit gefüllt sind (sog. leere Dauern). Es stellt sich die Frage, wie stark sich diese zeitlichen Verzerrungen auch auf die Diagnose von Prozessfehlern auswirken. Zur deren Beantwortung wurde das Verhalten von Personen bei der Steuerung einer prozesstechnischen Simulation experimentell untersucht. Die Aufgabe einer Versuchsperson bestand darin, innerhalb einer prozesstechnischen Mikroweltsimulation eine Fehlfunktion im technischen System aufgrund der Dauer einer Latenzphase zu identifizieren. Das Ende der Latenzphase wurde durch die auf einem Bildschirm beobachtbare Bildung einer Flüssigkeit in einem Kondensator-Behälter angezeigt. Es wurden mehrere Bedingungen erzeugt, unter denen diese Diagnoseaufgabe zu lösen war, welche sich durch die Art einer nebenher zu bearbeitenden Regulierungsaufgabe unterschieden. Diese Aufgabe stellte entweder für die Dauer der gesamten Latenzphase, nur während eines Teils der Latenzphase oder zu keinem Zeitpunkt der Latenzphase zusätzliche Anforderung an den Versuchsteilnehmer. Die Versuchsteilnehmer waren instruiert, im Falle des Verstreichen einer kritischen Dauer ohne beobachtbare Flüssigkeitsbildung das Mikrowelt-Szenario abzubrechen. In Anlehnung an das Vorgehen einer Vorläuferuntersuchung wurde die Beurteilung einer Dauer über den Zeitpunkt dieses Abbruchs messbar gemacht. Mit dieser explorativen Untersuchung sollte jedoch hauptsächlich geklärt werden, ob mit der Messung von Blickbewegungen auf ökologisch valide Weise die Erhebung eines Indikators für die Zeitwahrnehmung gelingen kann. Daher wurden zusätzlich die Blickbewegungen der Versuchsperson während der Aufgabenbearbeitung gemessen. Mit dem Moment der ersten Fixation des Bildschirmobjektes, in dem die Flüssigkeitsbildung angezeigt wurde, hoffen wir, einen ökologisch validen Indikator für das subjektive Zeitempfinden der Versuchspersonen identifiziert zu haben.
Stichworte
zeitliche Informationsverarbeitung, komplexe Systeme, Fehlerdiagnose, Mikrowelten